“Ich möchte meine Moral nicht verkaufen” - Fotograf Hannes P. Albert im Interview
BF: Hallo Herr Albert, Sie arbeiten im Reportagebereich und scheuen sich nicht, in Krisenregionen zu fahren. Woher kommt bei Ihnen die Motivation für diesen Arbeitsbereich?
Hannes P. Albert: Ursprünglich wollte ich Ingenieur oder Arzt werden. 2008 habe ich dann zufällig ein Bild von Goran Tomasevic, einem Reuters-Fotografen, gesehen. Dieses Foto hat mich inspiriert und motiviert, mir eine Spiegelreflexkamera zu kaufen und so hat der Zauber begonnen. So gesehen fotografiere ich also noch gar nicht so lange. 2011 bin nach Berlin gezogen, um Fotografie zu studieren. Seit dem Ende des Studiums 2015 schlage ich mich als Freelancer durch die Welt.
BF: Was hat Sie damals an dem Bild aus Afghanistan von Goran Tomasevic so gefesselt, dass Sie selbst begonnen haben, professionell zu fotografieren?
Hannes P. Albert: Es ist ein Bild von jemanden, der in Deckung geht, weil er gerade beschossen wird. Dieses Bild hat alle Elemente der Fotografie vereint, die mich selber ansprechen. Der besondere, einzigartige Moment der Straßenfotografie, die historisch-politische Geschichte hinter dem Bild, die Reportageeignung des Fotos, die Nähe zum Menschen. So leidenschaftlich aufgebaute Motive entsprechen meinem persönlichen Anspruch als Fotograf. Ich versuche auch immer nah am Menschen zu sein, seine Geschichte zu erzählen, ohne das Element des Textes zu brauchen und ich möchte den außergewöhnlichen Moment einfangen.
BF: Wie schaffen Sie es, in diesen intensiven Momenten den Menschen nah zu kommen?
Hannes P. Albert: Gute Frage, ich kann nicht genau beschreiben, wie ich das mache. Im Rahmen meines Studiums habe ich in New York sehr proaktiv Straßenfotografie gemacht. Mir ist aufgefallen, dass die Leute nicht ablehnend reagieren, wenn sie von mir fotografiert werden. Das hat mich ermuntert, noch entschlossener zu fotografieren. Selbst wenn ich dann von den Menschen auf die Bilder angesprochen wurde, haben die meisten verstanden, warum ich sie fotografiere. Es ging mir nie darum die Fotografierten in irgendeiner Form bloßzustellen, sondern allein um den Moment, um sie als Menschen und die Stimmung. Wenn ich das erklären kann, haben sie Verständnis für meine Motivwahl.
BF: Erklären Sie den Fotografierten vorher, was Sie machen wollen?
Hannes P. Albert: Nein, ich erkläre den Menschen hinterher, warum ich sie als Motiv gewählt habe, sonst geht mir der Moment verloren. Wenn die Leute nicht merken, dass sie fotografiert werden, belasse ich es teilweise dabei. Ich habe in New York ein lesbisches Pärchen auf einer Fähre fotografiert, ohne dass die beiden das mitbekommen hatten. Ich bin dann später zu dem Pärchen gegangen und habe den beiden erzählt, dass ich ein Foto von ihnen geschossen habe und ich ihnen das Foto gern per E-Mail zusende. Die Frauen haben sich wahnsinnig gefreut, weil sie kein einziges, gemeinsames Bild aus dem Urlaub hatten. So agiere ich als Fotograf. Wenn ich merke, dass die Szene etwas sehr Persönliches, vielleicht Intimes zeigt, die man selbst nicht abbilden kann, weil man selbst involviert ist, dann spreche ich die Menschen an und frage, ob ich das Bild behalten darf. Wenn es ein Straßenmotiv ist, wenn ich jemanden fotografiere, weil er besonders aussieht, dann lasse ich ihn einfach weiterlaufen.
BF: Was ist charakteristisch an Ihren Arbeiten? Woran erkennt man Ihre Fotos?
Hannes P. Albert: Mir wird nachgesagt, dass die fotografierten Menschen einen besonderen Blick haben, vor allem bei Portraits. Sie habeneinen sehr ehrlichen Gesichtsausdruck. Bei der Straßenfotografie vereine ich relativ viel Symmetrie mit Personen. Ich fotografiere schwarz-weiß, dabei achte ich viel auf Licht, Schatten, Strukturen und Linien und baue darin die Menschen ein.
BF: Wie ist die Stimmung auf Ihren Bildern?
Hannes P. Albert: Meine Bilder sind wie Fenster, die den Blick in eine andere Welt ermöglichen. Der Betrachter bekommt einen anderen Einblick auf die selbst erlebte Szenerie. Manchmal wundern sich Menschen über meine Motivwahl und sehen erst später, warum ich etwas fotografiert habe oder warumes interessant aussieht. Es geht stark um Details, aber ich kann nicht immer bewusst sagen, weshalb ich die Kamera hebe und abdrücke. Ich verfolge kein ausgefeiltes Konzept.. Ich bin kein Freund von großen Konzepten. Das haben meine Professoren nicht gern gehört und gesehen, da sie stets Konzeptarbeiten haben wollten. Ich bewege mich lieber in einer Umgebung und lasse mich durch sie inspirieren, als mir vorher ein mustergültiges Konzept auszudenken. Diese Inspiration zieht sich dann eher als roter Faden durch ein Projekt, eine genaue Beschreibung eines Konzeptes fällt mir hier aber schwer.
BF: Woher kommen die Liebe zur Straßenfotografie und der Hang zur politischen Kriegsfotografie?
Hannes P. Albert: Wenn ich auf der Straße bin, dann sehe ich immer viel. Ich habe ein extrem großes Interesse an dem, was gerade um mich herum passiert. Das möchte ich festhalten und daher kommt die Liebe zur Straßenfotografie. Ich habe mich schon immer für internationale Politik und die mediale Präsentation von kriegerischen Auseinandersetzungen interessiert. 2012 bin ich eher durch einen Zufall nach Syrien gereist, als der Bürgerkrieg noch jung war. Dieses Erlebnis hat mir deutlich gemacht, welchen enormen Einfluss Bilder auf die öffentliche Wahrnehmung haben. Ich habe mir vorgenommen andere Einblicke in den Syrienkrieg zu gewähren. Wenn etwas vor mir explodiert, schaue ich lieber, was hinter mir passiert, um nicht das gleiche Bild wie die anderen 99 Fotografien zu produzieren. Ich will andere Blickwinkel auf Konflikte bekommen. Deshalb würde ich mich nicht als Journalist im klassischen Sinne sehen, ich betreibe einen - wie ich es bezeichne - “subjektiven” Journalismus. Was ich sehe, höre, verifizieren kann, gebe ich weiter. Über alles, was ich sehe, kann ich später auch diskutieren und es entsprechend fotografisch darstellen.
BF: Von welcher Art Journalismus grenzen Sie sich ab?
Hannes P. Albert: In Syrien war ich mit einem französischen Journalisten und einem libanesischen Fotografen unterwegs, der für die Zeitung Le Monde gearbeitet hat. In Aleppo waren wir auf einem wunderschönen, aber teilweise bereits zerstörten Basar. Vor uns betete ein Free Syrian Army (FSA)-Rebell auf einem Gebetsteppich und Koran. Der libanesische Fotograf hat eine Waffe von der Wand genommen, hat sie auf den Teppich neben den Koran gelegt und von der kreierten Szene zwei Fotos geschossen. Dann hat er die Waffe wieder an die Wand gestellt. Dieses Foto wurde gemacht, um eine bereits bestehende Meinung unterfüttern zu können. Diese vorsätzliche Manipulation durch fotografische Szenen habe ich während meines Aufenthalts in Syrien häufiger erlebt. Für mich ist das nur pornografischer Fotojournalismus: Zu fotografieren, was man erwartet zu sehen oder sehen möchte. Den Money-Shoot gibt es auch im Fotojournalismus. Davon grenze ich mich vehement ab. Da ich einen Presseausweis habe und unter dem Pressekodex arbeite, unterhalte ich mich viel mit Journalisten und bekomme mit, wie viele von ihnen arbeiten.
Ein Schlüsselerlebnis hatte ich mit einem italienischen Journalisten, auf einer Demonstration zum 1.Mai, Istanbul, 2 Jahre nach den Protesten gegen die Überbauung des Gezi-Parks. Er erzählte mir, dass er die vorerst vorfinanzierte Reise selbst bezahlen muss, wenn er der Agentur keine Bilder von gewalttätigen Auseinandersetzungen liefert. Wenn er nur zeigt, was passiert war, nämlich dass alle friedlich geblieben sind, bekommt er kein Geld. Er muss die Vorfinanzierung zurückzahlen. Fotojournalisten haben einen Abbildungszwang. Das hat verheerende Folgen für das eigentliche Ziel des Journalismus, nämlich aufzuklären. Wenn ich in einem Konfliktgebiet bin und gerade nichts passiert, dann fotografiere ich genau das. Dass eben nichts passiert, außer dass die Beteiligten die hundertste Zigarette rauchen oder sich aus Langeweile Jackie-Chan-Filme auf Russisch anschauen. Mir geht es nicht allein um die Sensation, sondern um die Dokumentation des Vorhandenen. Deshalb würde ich mich auch nie als Kriegsfotograf beschreiben, sondern als Straßenfotograf in Konfliktregionen.
BF: Was macht das mit Ihnen, zu wissen, dass Sie mit blutigen Bildern viel mehr Geld verdienen könnten?
Hannes P. Albert: Mich macht es traurig. Ich versuche, mein Fotomaterial zu sammeln, um es in Ausstellungen oder Büchern zu zeigen, als dass ich ein Bild für 50 Euro verkaufe und dafür jemanden bloß-oder falsch darstelle. Ich arbeite im Einzelhandel um finanziell sicher zu sein oder fotografiere Hochzeiten und Produkte, um Geld zu verdienen. Ich will kein blutiges Geld mit Fotos verdienen. Diesen Anspruch stelle ich an mich selbst. Fotoprojekte in Konfliktregionen finanziere ich aus eigener Tasche.
BF: Was würden Sie machen, wenn Sie nicht Fotograf geworden wären?
Hannes P. Albert: Wenn es meine Abiturnote zugelassen hätte, wäre ich Arzt geworden. Meine Berufswahl war schon immer auf Menschen fixiert. Ich wollte einen gesellschaftlichen Mehrwert schaffen. Ich möchte meine Moral nicht verkaufen, die ist unbezahlbar.
BF: Was war Ihr schönstes Projekt?
Hannes P. Albert: Das schönste Projekt war für mich tatsächlich Syrien, weil ich dort sehr, sehr nah an der Zivilbevölkerung , aber auch an den Rebellen war. Das Zwischenmenschliche, was ich beobachtet und auch selbst erfahren habe, hat mich nicht mehr losgelassen. DieseBeziehungen ziehen mich immer und immer wieder in die Region des Nahen Ostens.
BF: Was hat die Zwischenmenschlichkeit in Syrien, die Sie so berührt hat, ausgemacht?
Hannes P. Albert: Wie die Menschen auf mich reagiert haben. Ich habe damals analog mit zwei kleinen Leica-Kameras gearbeitet, hatte zwei Brennweiten dabei und 20 schwarz-weiß Filme. Ich sah nicht aus wie ein typischer Journalist und das haben die Leute bemerkt. Mir wurden Motive angeboten, die sie anderen Journalisten nicht offenbart hatten. Mir wurde extrem viel Vertrauen entgegengebracht. Ich konnte sehr ehrlich sein mit meinen Gedanken, ohne dass irgendjemand feindselig wurde. Ich hatte Gespräche über Religion mit Imamen, die gekennzeichnet waren von Neugierde. Beide Seiten wollten einfach mehr voneinander wissen. Diese Begegnungen haben mich extrem geprägt.
BF: Können Sie sich vorstellen, ein Leben lang Fotograf zu sein?
Hannes P. Albert: Ja, auf jeden Fall. Es ist aber auch schwer, in unterschiedlichen Welten zu leben und diese Art von Straßen-Fotografie in Konfliktregionen zu machen. Das letzte Projekt im Ausland habe ich vor zwei Jahren gemacht. Die Erlebnisse haben mich geprägt und begleiten mich täglich. In Berlin, im westeuropäischen Raum, gibt es andere Prioritäten im Leben, in Konfliktregionen geht es oft ums Existenzielle. Diesen Kontrast als Mensch und Fotograf auszuhalten kostet Kraft.
BF: Welches Ihrer Bilder liegt Ihnen besonders am Herzen?
Hannes P. Albert: Ein Bild von einem syrischen Jungen mit einer Waffe in der Hand, die mächtig wirkt, im Vergleich zum Körper des Jungen. Es ist für mich ein Stellvertreterbild, es illustriert die manipulative Kraft durch Text sehr gut. Der Vater des Kindes war selbst Kämpfer. Wir waren auf einer Demonstration in Aleppo. Alle waren fröhlich, weil sie auf die baldige Beendigung des Konfliktes gehofft hatten. Damals dauerte der Krieg erst ein Jahr an. Der Vater kam zu mir und fragte, ob ich ein Foto von seinem Sohn mit der Waffe schießen könnte. Der Junge hat die Waffe natürlich stolz in den Händen gehalten. Wenn man dieses Bild mit dem Wort Kindersoldat unterschreiben würde, würde das jeder sofort glauben. Ich habe das Bild bisher nie ins Internet gestellt, weil es viel Diskussionspotential hat. Ich habe es in einer Ausstellung gezeigt und den Kontext erläutert, um sicher zu sein, dass es nicht falsch aufgenommen wird. Ich bin kein großer Texter, das sehe ich nicht als meine Aufgabe als Fotograf.
Ich gebe gern dem Rezipienten die Möglichkeit, das Bild für sich zu benennen. Wenn sie im Bild keine Orientierung haben, müssen sie sich damitbeschäftigen. Ich merke dann auch, ob Leute Lust haben, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen oder ob sie nur die Bildunterschriften studieren. Wenn ich Bilder aus Syrien, der Ukraine, der Türkei zeige, sollten die Menschen Kontextwissen mitbringen. Haben sie es nicht, vermittle ich es gerne, am liebsten im persönlichen Gespräch. Es geht mir nicht darum, schöne Bilder zu machen, um bei Instagram Likes anzuhäufen. Mir geht es darum, die Leute zum Nachdenken zu bringen.
BF: Sie haben einen hohen Anspruch an Menschen.
Hannes P. Albert: Ja klar, das ist ein hoher Anspruch, vielleicht auch ein zu hoher Anspruch. Aber wenn solche Interviews wie dieses hier oder Ausstellungen stattfinden, dann wissen Menschen auch, was mein Konzept ist. Vielleicht kann ich sogar dazu anregen, sich über Konflikte zu informieren.Ich bin kein Fotograf für Laufkundschaft. Ich bin ein Fotograf für Leute, die sich für bestimmte Themen interessieren. Klar, meine Bilder aus Indien oder Thailand, die nicht konfliktlastig sind, sind einfach schön, allein der Farben wegen. Man kann sich diese Bilder ohne Weiteres ins Zimmer hängen, aber bei Konflikten gehört es zur Bildbetrachtung dazu, sich zu informieren, um ein tieferes Verständnis zu bekommen. Ich habe Konflikte auch nur verstanden, weil ich mich vorher intensiv damit auseinandergesetzt habe. Sonst hätte ich nicht so fotografieren können.
BF: Also sollen Ihre Fotos den Menschen abseits von konfliktgebeutelten Regionen helfen, Konflikte zu verstehen und nicht umgekehrt.
Hannes P. Albert: Es soll den Menschen helfen zu verstehen, aber sie müssen auch Hintergrundwissen mitbringen. Sie müssen Interesse mitbringen, damit sie noch tiefer in eine Materie eindringen können. Ein Bild per se ist immer erst zweidimensional. Um das Bild zu verstehen, muss man mehr als nur einen Zeitungsartikel gelesen haben. Es ist viel verlangt, das weiß ich. Deswegen bin ich bei meinen Ausstellungen immer mit dabei, um mit den Besuchern ins Gespräch zu kommen. Austausch kommt jedoch nur zustande, wenn die Rezipienten wirklich Interesse haben. Wenn es kein Grundinteresse gibt für die Region, die Menschen und das Bild, ist der Betrachter vielleicht besser bei Instagram aufgehoben, wo man schnell schöne Bilder konsumieren kann. Ich möchte eher eine andere Gruppe Betrachter ansprechen.
Menschen können kulturell so unglaublich unterschiedlich sein. Man muss sich ein Gefühl dafür erarbeiten, um Konflikte besser verstehen zu können. Ich wünsche mir sehr, dass diese Art von Wertschätzung und Respekt auch im kommerziellen Journalismus wieder mehr Einzug hält. Alle Menschen haben es verdient, so dargestellt zu werden, wie sie sind. Sie sollen nicht als Motiv für ein Narrativ dienen, welches lediglich auf Sensation und Spaltung abzielt.
BF: Herr Albert, vielen Dank für das Gespräch und Ihre Einblicke.
Hannes P. Albert: Vielen Dank an Sie für diese schöne Gelegenheit!
Weitere Bilder Von Hannes P. Albert findet man auf seinem BF-Profil oder seiner Internetseite
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