"Gute Reportagefotografen sind unsichtbar" - Fotograf Tom Pingel
Im BEST OF 2016 zeigen professionelle Fotografen ihr bestes, persönlichstes oder emotionalstes Foto aus dem letzten Jahr.
Mitgemacht hat auch Tom Pingel mit dem Bild aus einer Unternehmensreportage.
BF: Hallo Herr Pingel, Sie zeigen ein stimmungsvolles Motiv, das wie ein beiläufig fotografierter Schnappschuss aussieht. Obwohl es unscharf ist, fühlt man die vertrauensvolle Atmosphäre zwischen den beiden Arbeitern.
Tom Pingel: Dieses Foto ist bei einer mehrtägigen Reportage für ein mittelständisches Unternehmen entstanden. Die Offenheit und die Selbstverständlichkeit der Mitarbeiter dort hat mich beeindruckt. Ich hatte diesen Mann bei der Arbeit fotografiert und plötzlich sprang aus dem Nichts ein Kollege heran und polierte ihm die Glatze. Ich empfand diese Szene als außergewöhnlich, dass der Mitarbeiter das Vertrauen hat und lacht. Das geht nur, wenn man sich im Arbeitsumfeld sehr sicher fühlt und wenn Toleranz und Respekt herrschen. Diese Punkte sind mir persönlich und in meiner fotografischen Arbeit wichtig und gerade deshalb mag ich dieses Bild besonders.
Mittlerweile bin ich ja seit 30 Jahren in der Fotografie tätig und habe dabei in unterschiedlichen Bereichen gearbeitet: als Werbefotograf, als Dozent an Hochschulen, als Inhaber einer Bildagentur. Ein für mich wichtiger Punkt ist dabei aber immer eine möglichst authentische Fotografie zu leben geblieben. Ganz gleich, ob es um Dienstleistung oder um Produkte geht, letztlich sind es immer Menschen, die wichtig sind.
BF: Authentizität wird häufig mit Echtheit oder Originalität gleichgesetzt. Wie definieren Sie diese persönlich und in Ihrer Fotografie?
Tom Pingel: Für mich ist Authentizität die Schönheit des Augenblicks, die Wahrheit in dem Realen, das Gegenteil von Inszenierung. Fotografie ist ein Medium des Weglassens. Es fängt mit dem Ausschnitt an, man zeigt ja immer nur einen Teil der Welt. Wenn ich fotografiere, lege ich den Fokus auf etwas fest und blende etwas anderes aus. Daraus entsteht ein narratives Element, dass auf den Moment davor und den Moment danach verweisen kann. Somit erzählt das Bild eine kleine Geschichte. Das ist für mich die Magie der Fotografie. Das Authentische ist dann tatsächlich das Echte. Oft findet man dies eben in Schnappschüssen.
BF: Wussten Sie schon in der Situation, dass dies ein besonderes Bild für Sie wird?
Tom Pingel: Ja, das spürt man eigentlich schon. In diesem Fall war es aber keine Situation, die sich angekündigt hat. Als Fotograf schafft man Grundbedingungen, um dann im Moment intuitiv arbeiten zu können. Das ist ja das Tolle für den Fotografen, dass man dann nur noch seinem Bauch folgen kann. Umso erfahrener man als Fotograf ist, desto besser kann man quasi in die Zukunft gucken. Das hier war jedoch eine Situation, die für mich überhaupt nicht vorhersehbar war. Das Bild ist auch nicht technisch einwandfrei, es hat im Grunde eine zu langer Belichtungszeit, aber die Dynamik kommt durch die Bewegungsunschärfe zum Tragen.
BF: Sie haben gesagt, dass Sie drei Tage in der Firma waren. Wie bewegen Sie sich dort, damit authentische Bilder entstehen?
Tom Pingel: Dafür habe ich im Laufe der Zeit ein gewisses Repertoire entwickelt. Man kann Menschen einerseits natürlich inszenieren und Ihnen die Möglichkeit geben mit der Kamera zu interagieren, man kann Menschen aber auch beobachten und versuchen als Fotograf möglichst unsichtbar zu sein. Wenn ich drei Tage in einer Firma bin, dann plane ich verschiedene Dinge ein. Es gibt inszenierte Sachen wie Businessportaits oder Meetingsituationen. Diese müssen vorbereitet werden. Dazwischen nehme ich mir aber immer auch Zeit, um sozusagen frei zu fotografieren. Meist ist dafür ein halber Tag vorgesehen.
BF: Was ist für Sie ein sehr gutes Fotos, welche Bilder berühren Sie persönlich?
Tom Pingel: Ich mag Bilder, in denen ich etwas entdecken kann, durch die ich etwas erfahre, wo meine Neugierde befriedigt wird. Bilder, die vielleicht auch eine gewisse Schonungslosigkeit besitzen. Wahrscheinlich handelt es sich dabei eher um Bilder aus dem künstlerischen Bereich, Streetfotografie oder sozialdokumentarische Fotografie. Das sind dann die Bilder, die mir etwas bedeuten. Das Tolle in der Fotografie ist somit für mich, dass kein Shooting wie das andere ist. Es gibt immer etwas Neues und man kommt mit so vielen unterschiedlichen Bereichen in Kontakt. Ich habe die Möglichkeit, viel Neues zu lernen. Das gilt insbesondere für die Wissenschaftsfotografie.
BF: Sie haben auch an Hochschulen unterrichtet. Was raten Sie den Studierenden?
Tom Pingel: Im Grunde ist das Wichtigste nur das zu machen, was Spaß macht. Die Fotografie muss Freude machen, ansonsten kämpft man ständig und versucht Erwartungen zu erfüllen, die man nicht erfüllen kann. Ohne Freude, kann man auch nicht intuitiv arbeiten.
BF: Ihre Businessportraits sind selten glatt, oder heroisch. Es sind keine klassisch konservativen Bilder von archetypischen Führungspersonen.
Tom Pingel: Diese klassischen, heroischen, stereotypen Chefportraits habe ich auch irgendwo in meinem Archiv, aber sie sind nicht auf meiner Webseite zu sehen, weil sie mir selbst nicht so wichtig sind. Mich interessieren eher Kanten und Brüche. Dadurch kommen Auftraggeber zu mir, die eine spezielle Beschreibung haben. Mich interessiert die Wahrheit. Die geleckte, überhöhte und super perfekt fotografierte Darstellung von Führungspersönlichkeiten ist eigentlich vorbei. Nehmen wir etwa den berühmten Kulturstrick Krawatte. Manager, die heute wirklich in Verantwortung stehen, die legen sie bewusst ab. Diejenigen, die wirklich etwas zu sagen haben, müssen sich keine Krawatte umbinden, denn in diesen Bereichen zählen ganz andere Werte und Fähigkeiten. Das ist mein Eindruck, vielleicht auch meine Hoffnung. Diese authentische Art der Darstellung im Businessbereich ist nicht immer konfliktfrei, aber es wird den Menschen gerecht.
BF: Authentizität muss man sich vielleicht leisten können. Menschen in Führungsebene könne sich das vielleicht leisten, andere, die auf dem Weg dorthin sind, können das möglicherweise nicht.
Tom Pingel: Ja, aber sie könnten eine Idee davon haben, dass sie sich das leisten wollen. Das reicht ja auch schon. Wenn jemand diesen Horizont nicht mitbringt, kann man nur hoffen, dass diese Person nie eine hohe Position mit Führungsverantwortung erlangt.
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