"So nah wie möglich" - Fotograf Arne Bänsch
Im BEST OF 2016 zeigen professionelle Fotografen ihr bestes, persönlichstes oder emotionalstes Foto aus dem letzten Jahr.
Mitgemacht hat auch Arne Bänsch mit diesem dokumentarischen Bild.
BF: Hallo Herr Bänsch, Ihr wichtigstes Bild aus dem letzten Jahr scheint ein persönliches Motiv zu sein.
Arne Bänsch: Das Foto stammt aus einem freien Projekt, das mir sehr ans Herz gewachsen ist und an dem ich seit zwei Jahren kontinuierlich arbeite. Der Mann auf dem Foto ist mein Vater, der seit einem Unfall vor 6 Jahren querschnittsgelähmt ist und im Rollstuhl sitzt.
Ich finde ich, dass das Thema Querschnittslähmung wie in dem Film “ziemlich beste Freunde” häufig verklärt dargestellt wird. Gerade deshalb möchte ich viele Facetten einer Querschnittslähmung und deren Auswirkung zeigen. Denn es geht nicht immer nur darum, dass es den Betroffenen schlecht geht, sondern auch darum, dass sie Krisen bewältigen und eigenständig leben können.
BF: Ich kann mir vorstellen, dass dieses Projekt gerade am Anfang emotional nicht einfach war.
Arne Bänsch: Das stimmt natürlich und ich hatte schon recht lange die Idee. Da es ein sehr persönliches, privates Thema ist, hatte ich mich lange Zeit nicht getraut, das Projekt umzusetzen. Ich habe dann viel mit meinem Vater über eine Fotodokumentation seines Lebens geredet. Es war mir wichtig, vorab zu klären, was für ihn okay ist und in welchen Momenten er nicht fotografiert werden möchte. Als Unbeteiligter ist es vielleicht sogar einfacher, wenn man in die Welt meines Vaters eintaucht, Bilder macht, dann wieder rausgeht und möglicherweise so etwas objektiver ist, aber das kann und will ich als Sohn und Fotograf nicht tun. Ich wollte ein persönliches Projekt mit meinem Vater verwirklichen, bei dem ich nah an ihm bin. Diese Nähe herzustellen, wäre in einer anderen Beziehungskonstellation vielleicht gar nicht möglich gewesen. Mein Vater weiß, dass die Bilder veröffentlicht werden. Viele Bilder zeigen natürlich intime Momente. Wir reden dann viel gemeinsam darüber, ob wir ein sensibles Bild veröffentlichen sollen oder eben nicht. Mein Vater ist nicht selten selbst im Zwiespalt mit den Bildern. Manche Momente möchte er eigentlich nicht zeigen, aber gerade, weil sie Verletzlichkeit zeigen, intim und deshalb wichtig sind, fasst er doch öfter den Entschluss die Fotos freizugeben.
Durch dieses Fotoprojekt habe ich meinen Vater noch einmal anders kennengelernt. Mir ist seine Geschichte enorm wichtig. Ich glaube, dass viele Menschen Berührungsängste mit querschnittsgelähmten Menschen haben oder sich mit dem Thema nicht auseinandersetzen wollen. Gewisse Fragen werden auch aus Höflichkeit nicht gestellt. Diese vielschichtigen Lebensmomente versuche ich in der Fotostrecke umzusetzen.
BF: Sie begleiten Ihren Vater dann in den unterschiedlichen Situationen im Alltag.
Arne Bänsch: Ich besuche ihn so häufig es geht und bei den Besuchen ist dann die Kamera mit dabei. Allerdings nicht meine professionelle Ausrüstung, sondern eine kompakte Kamera, die es ermöglicht flexibel zu bleiben. Ich beobachte dann recht unterschiedliche Momente: Den Kino- oder Schwimmbadbesuch etwa, oder die Reaktion anderer Leute, wenn wir zusammen einkaufen gehen. Mit einer Querschnittslähmung kann man doch recht viel machen, Handbike fahren zum Beispiel. Ich will das Umfeld meines Vaters, seine Arbeit, seine Freunde, seine Familie und die Reaktionen Unbeteiligter zeigen. Diese Facetten möchte ich zeigen und eine Geschichte dazu erzählen.
Man kann sich als Außenstehender und auch als Familienmitglied teilweise nicht vorstellen, wie tief die Veränderung ist, die die gesamte Identität der Betroffenen beeinflusst. Die Selbstwahrnehmung des eigenen Körpers ist ein großer Bestandteil unserer Identität und das ändert sich nach so einem Unfall von einem Tag auf den anderen. Die Abgründe, die es bei Querschnittsgelähmten teilweise gibt, selbst wenn man versucht sich seinen Optimismus zu erhalten, sind einfach da.
BF: Als Fotograf hat man meist eine emotionale Distanz, die das Beobachten und Fotografieren ermöglicht. Als Sohn dürfte dies schwieriger sein. Wie funktioniert das in diesem Projekt?
Arne Bänsch: Ich kann nicht genau sagen, ob ich eher die Rolle des Sohnes oder die des Fotografen einnehme. Das ist abhängig von der Situation. In Momenten, in denen mein Vater Hilfe braucht und nur ich anwesend bin, würde ich nicht fotografieren und ihn hängen lassen. Das ist natürlich auch ein Zwiespalt. Mir sind einige Fotos aus den Händen gerutscht, weil ich eingesprungen bin und damit auf das Bild verzichtet habe, aber ich finde das nicht schade. Es ist ein freies Projekt, welches veröffentlicht wird, wenn es mir rund erscheint. Ich bin in diesen Momenten dann doch eher der Sohn, als der Fotograf.
BF: Sie haben erzählt, dass Sie viele Gespräche mit Ihrem Vater geführt haben und, bis Sie das Projekt vor zwei Jahren begonnen haben. Das trifft zeitlich mit dem Beginn Ihrer Selbstständigkeit zusammen.
Arne Bänsch: Ich bin seit 2016 selbstständig und vorher hätte ich mir das vom technischen und künstlerischen Anspruch nicht zugetraut. Ich habe lange mit mir gehadert und mich gefragt, ob Fotografie richtig für mich ist. Ich habe das Projekt angefangen, als ich mich entschieden habe, Fotograf zu werden. Anstoß für die Fotoreihe von meinem Vater war ein Gespräch mit einer Fotografin, die ein anderes Projekt von mir fast vernichtend kommentiert hatte. Sie sagte mir, dass viele spannende Geschichten vor der Haustür stattfinden, dass man dafür nicht weit weg ins Ausland fliegen muss.
BF: Um als Fotograf erfolgreich zu sein, benötigt man Durchsetzungsfähigkeit und immer auch ein recht großes fotografisches Selbstbewusstsein.
Arne Bänsch: Es war immer ein Traum von mir von der Fotografie zu leben. Ich hatte vor einigen Jahren ein Praktikum bei einem Fotografen gemacht, habe dann aber etwas völlig anderes studiert. Das Selbstbewusstsein kam erst im letzten Jahr. Ich habe angefangen, bei einer Zeitung zu arbeiten und dadurch Kunden gewonnen. Das hat viel bei mir getriggert. Ich glaube jetzt an meine Arbeit.
Für mich ist die Fotografie aber auch ein Traumberuf. Man wird damit nicht reich, besonders nicht als Fotojournalist, aber für mich hat sich fotografieren noch nie angefühlt wie arbeiten. Es kann zwar anstrengend sein, aber es gab keinen Tag an dem ich genervt war. Ich liebe es, Geschichten von Menschen zu erzählen. Ich arbeite gerade viel im Lokalbereich auf dem Dorf. Dadurch habe ich mich verändert. Ich komme aus Göttingen, einer linksintellektuellen Hochburg. Wenn ich dann in einem katholischen, konservativen Dorf bin, schaffe ich es trotzdem mich auf die Menschen dort einzulassen. Ich habe durch meinen Beruf mehr Toleranz entwickelt. Ich kann mit Menschen reden, mit denen ich vorher nie etwas zu tun hatte. Fotojournalismus im lokalen Bereich gibt mir besonders viel, weil ich nah an den Menschen bin und Vertrauen geschenkt bekomme, welches es erst möglich macht, Geschichten zu erzählen. Das ist einfach toll.
BF: Können Sie in Worte fassen, was für Sie ein gutes Foto ausmacht?
Arne Bänsch: Gute Fotos leben von Kontrasten, die man hervorhebt, egal ob es gestalterische oder inhaltliche Kontraste sind. Ein gutes Foto ist zudem kein Klischee, es erzählt eine Geschichte. Mir ist allerdings auch aufgefallen, dass sich meine eigenen Kriterien für gute Fotos verändern, es ist etwas dynamisches und fluides. Die meisten Bilder, die ich vor Jahren gemacht habe, mag ich heute nicht mehr. Hin und wieder braucht es auch Zeit und emotionalen Abstand, um Dinge in den eigenen Bilder zu entdecken. So wird manchmal ein einst aussortiertes Bild im Laufe der Zeit wieder interessant. Ich finde es schön, wenn der Betrachter sieht, was ich mit dem Bild ausdrücken wollte.
BF: Wie verhält es sich mit diesem Bild Ihres Vaters. Ist es charakteristisch für Ihre Arbeitsweise?
Arne Bänsch: Ich denke schon, denn ich versuche immer, das Bild in der Kamera zu machen. Ich verändere in der Fotografie eigentlich nichts. Ich versuche, den Stil durch Licht, Perspektiven und durch die Auswahl der Themen und Motive zu gestalten und möglichst wenig Zeit in Photoshop zu verbringen. Ich möchte so nah wie möglich dran sein und total perfekte Bilder mag ich auch nicht gern.
Bei diesem Foto hatte ich die Kamera gar nicht bei mir. Ich habe sie schnell geholt, weil ich das wunderbare weiche Licht gesehen habe, welches durch das Fenster eindringt, während der Raum total dunkel wirkt, um das zu fotografieren. Ich habe mich gefreut, dass ich die Situation und die Stimmung doch noch fotografisch festhalten konnte.
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